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Faires Gehalt 4.0

Auteur: Sarah Sommer / le

Konzerne wie Google lassen Algorithmen über die Höhe der Löhne entscheiden. Ist das gerecht?

Frauen verdienen zu viel Geld – jedenfalls beim Internetkonzern Google. Zu diesem Schluss kam ein Algorithmus, der bei Google regelmässig überprüft, ob die im Unternehmen gezahlten Gehälter fair und angemessen sind. Eigentlich soll der Algorithmus verhindern, dass Frauen oder Angehörige von Minderheiten im Konzern benachteiligt werden. Für das vergangene Jahr meldete der automatisierte Prüfmechanismus allerdings überraschend: Die Männer verdienen im Vergleich zu ihren Kolleginnen zu wenig. 9,7 Millionen Dollar zahlte der Google-Mutterkonzern Alphabet für das Jahr 2018 rückwirkend an mehr als 10.000 Mitarbeiter aus, um die unfairen Gehaltsunterschiede auszugleichen.

Fairer Lohn ist Ansichtssache

Gerechte Gehälter dank Algorithmus – kann das funktionieren? In der Schweiz gibt es jedenfalls viele aktuelle Konflikte und Debatten in Unternehmen und Behörden rund um ungleiche Löhne. Ein unbestechlicher, neutraler, objektiver Mechanismus, der automatisch für eine faire Bezahlung sorgt, könnte die Lage entschärfen. Spätestens ab dem Sommer 2021 werden grosse Schweizer Unternehmen per Gleichstellungs Gesetz GlG für Transparenz und strukturelle Gleichheit bei ihren Löhnen sorgen müssen – da werden vielerorts ähnliche Analysen und Algorithmen zum Einsatz kommen wie aktuell bei Google. Das Problem: Streit wird es dennoch geben. Denn das Grundproblem ist ein anderes: Was ein fairer und angemessener Lohn ist, ist Ansichtssache.




Google-Algorithmus in der Kritik

So geriet auch der Google-Algorithmus für Gehaltsgerechtigkeit sofort in die Kritik – weil er womöglich der komplexen Realität im Unternehmen nicht gerecht wird. Die selbstlernende Analyse-Software bewertet zum einen leicht vergleichbare Leistungsdaten und Faktoren wie den Arbeitsort und das Aufgabengebiet der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zudem fliessen aber auch subjektive Einschätzungen der Vorgesetzten über die Motivation der Angestellten ein. Die vermeintliche Benachteiligung von Männern könnte Kritikern zufolge darauf zurückzuführen sein, dass Frauen von vornherein in eine niedrigere Gehaltsstufe eingeordnet wurden als ihre männlichen Kollegen.
So verdienen sie zwar scheinbar besser als gleichrangige männliche Kollegen, müssten aber eigentlich auch einen Rang und damit eine Gehaltsstufe höher eingestuft werden – im nächsthöheren Rang würden sie dann wiederum zu den am schlechtesten bezahlten Kollegen zählen. Google will nun sein Analyse-Tool überprüfen und nachbessern.
Wer tatsächlich fair oder unfair bezahlt wird, ist also weiterhin Ansichtssache – und bleibt ein zentraler Streitpunkt vor Arbeitsgerichten. Schutz vor Sammelklagen, wie sie Mitarbeiterinnen wegen unfairer Bezahlung gegen Google eingereicht haben, bietet der Algorithmus dem Tech-Konzern daher wohl nicht.


Algorithmen übernehmen die Vorurteile ihrer Erschaffer

Wer ist fairer – Mensch oder Maschine? Wer von Algorithmen erwartet, dass sie objektiver und fairer sind als menschliche Vorgesetzte, erwartet womöglich generell zu viel. Denn vollkommen objektiv und neutral sind auch Algorithmen nicht. Sie spiegeln vielmehr meist bestehende Vorurteile und strukturelle Ungleichheiten wider. Denn die selbstlernende Software wird mit Erfahrungswerten gefüttert – und repliziert dann die Muster, die sie im Verhalten der Vergangenheit erkennt. Der Algorithmus trifft dann die gleichen „unfairen“ Entscheidungen wie ein Mensch, der bewusst oder unbewusst ebenfalls meist auf Basis seiner Erfahrungswerte und Vorurteile entscheidet.
Deshalb musste etwa auch E-Commerce-Anbieter Amazon ein Projekt wieder aufgeben, bei dem ein Algorithmus die Personalabteilung bei der Auswahl neuer Mitarbeiter und der Entscheidung über geeignete Kandidaten für Beförderungen unterstützen sollte. Das KI-Modell wurde dazu mit Daten aus Bewerbungen trainiert, die innerhalb der letzten zehn Jahre bei Amazon eingegangen waren. Die meisten davon kamen allerdings von Männern – und Männer hatten in der Vergangenheit auch die erfolgreicheren Karrieren gemacht. Ein offensichtliches Muster, aus dem das System immer wieder die Schlussfolgerung zog, dass Männer die besseren Kandidaten sein müssen.
Algorithmen solche diskriminierenden Muster wieder auszutreiben, erweist sich für Entwickler als kompliziert. Daher wird Künstliche Intelligenz in den meisten Unternehmen zukünftig wohl nur mit Vorsicht bei der Entscheidung über Gehaltserhöhungen und Karriereschritte eingesetzt. Denn erst muss sich etwas in den Köpfen der menschlichen Entscheider ändern, damit Algorithmen keine diskriminierenden Praktiken mehr übernehmen.


Schweizer Unternehmen setzen Lohn-Algorithmen ein

Beim Schweizer Versicherungsunternehmen Mobiliar AG ist man zu dem Schluss gekommen: Die softwaregestützte Lohnanalyse kann nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu faireren Löhnen sein. Die Versicherung lässt sich von einem Algorithmus auf möglicherweise unfaire Lohnunterschiede im Unternehmen hinweisen – und lässt die Software auch automatisch einen Vorschlag für Lohnerhöhungen machen. Am Ende entscheidet aber immer ein Mensch darüber, ob der Vorschlag der Maschine angemessen ist. Die Schweizer Variante des Gerechter-Lohn-Algorithmus basiert auf einer Leistungsbeurteilung durch den Chef, auf Vergleichen mit Löhnen anderer Versicherungsfirmen und auf einem Abgleich mit anderen Mitarbeitern in vergleichbarer Position.
Das Versicherungsunternehmen wertet den Einsatz des Algorithmus als Erfolg: Bei der Zuteilung der Gehaltserhöhungen liegt der Unterschied zwischen Mann und Frau jetzt bei 0,05 Prozent. Zuvor hatte der strukturelle Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen um die fünf Prozent betragen.
An der Tatsache, dass Frauen noch immer meist in niedrigeren Positionen in der Unternehmenshierarchie arbeiten als ihre männlichen Kollegen, ändert der Algorithmus allerdings nichts – denn bei der Frage, ob ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin befördert oder für eine Führungsposition eingestellt wird, entscheiden die Menschen noch alleine.

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